Mehr als 550.000 Gräber befinden sich auf den 46 Begräbnisstätten der Friedhöfe Wien, 330.000 allein auf dem zweitgrößten Friedhof Europas, dem Zentralfriedhof. Und auch, wenn in vielen Gräbern mehr als nur eine Person ihre letzte Ruhestätte fand, liegt die Anzahl der tatsächlich auf dem Zentralfriedhof Bestatteten noch viel höher als man bei gut 300.000 Gräbern annehmen könnte. Hier an der Simmeringer Hauptstraße fanden nämlich seit der Eröffnung des Friedhofs vor rund 150 Jahren insgesamt bereits weit mehr als drei Millionen Beerdigungen statt.
Ein Grund für diese Diskrepanz: Jahr für Jahr werden zahlreiche bestehende Gräber zurückgegeben. Das bedeutet, dass es entweder keine Hinterbliebenen mehr gibt, die für die letzte Ruhestätte der dort liegenden Verstorbenen aufkommen können. Oder dass niemand mehr für das Grab bezahlen will. Dieses wird dann aufgelassen und kann neu vergeben werden.
Tausende aufgelassene Gräber
An die 6.000 Gräber laufen in Wien jährlich aus. Tendenz steigend. Einerseits gab es früher deutlich mehr Familien, die mehr als ein Grab besessen hatten, andererseits wollen oder können sich, gerade in Zeiten von Teuerung und Inflationssteigerung, immer weniger Menschen den längerfristigen Erhalt leisten. Zudem finden sich mit den Jahren bei (immer weiter entfernten) Nachfahren schwerer welche, von denen die Bezahlung eines Grabes übernommen wird.
Einen Engpass an Gräbern wird es daher in der Bundeshauptstadt wohl niemals geben, zumal sich eine stetig steigende Anzahl von Wiener:innen nicht mehr für die klassische Erdbestattung entscheidet. Kremation – insbesondere mit anschließender Naturbestattung – liegt im Trend.
Beim sogenannten „Graberwerb“ handelt es sich übrigens nicht um einen Kauf, sondern lediglich um den Erwerb des Nutzungsrechts an einer Grabstätte. Dieses kann bereits zu Lebzeiten erworben werden und weitervererbt, aber nicht verkauft oder verschenkt werden. Die Benützungsberechtigten erwerben durch die Bezahlung der Grabstellengebühr das Recht, selbst in der Grabstätte beigesetzt zu werden beziehungsweise dort Personen beisetzen zu lassen. Ein Erdgrab wird in der Regel für zehn Jahre vergeben, ein Grab mit einer steinernen Grabdeckelplatte für 20 Jahre und eine Gruft oder eine Urnennische für 60 Jahre.
Lagerhallen voll mit Gebeinen?
Und doch bleibt die Frage: Was passiert bei der Rückgabe eines Grabes mit den darin liegenden Gebeinen? Werden sie ausgegraben? Und falls ja: Wohin kommen sie?
Nun, die Antwort liegt eigentlich auf der Hand – wie allein das Beispiel des Zentralfriedhofs zeigt. Denn bei insgesamt über drei Millionen Toten dürfte klar sein, dass deren sterbliche Überreste so leicht nirgendwo anders Platz fänden. Die Gebeine der Wiener Verstorbenen würden mittlerweile ganze Lagerhallen füllen …
Die Toten werden also nicht wieder ausgegraben, sie verbleiben in den aufgelassenen Gräbern. Allerdings legt man die sterblichen Überreste nach der Auflassung üblicherweise tiefer in den Erdboden, damit weitere Verstorbene darüber ausreichend Platz finden können. In Ausnahmefällen ist dies aufgrund der Bodenbeschaffenheit nicht möglich. Dann wird lediglich das Grab abgetragen, der Grabstein und der Grabdeckel entfernt; der entsprechende Platz bleibt künftig ungenutzt.
Oder besser: Meist ungenutzt. Denn es gibt bereits innovative Ideen, wie man ein aufgelassenes Grab, in dem niemand Neuer mehr beerdigt wird, doch noch nutzen kann. Auf dem Friedhof Matzleinsdorf beispielsweise wurden Gräber zu einem Gemüsebeet umgewandelt – und zu offenen Bücherschränken.
Sollten derartige kreative Projekte auch woanders umgesetzt werden, dann gibt es künftig noch einen weiteren Grund, Friedhöfen auch abseits des Gedenkens an liebe Menschen einen Besuch abzustatten.


